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Well Come to Home

15. September 2012

„WELL COME TO HOME“ steht auf einem kleinen Zettel geschrieben, der die beiden Rosensträusse ziert, die uns unsere Guards zur Begrüssung schenken.

Es ist ein Uhr, mitten in der äthiopischen Neujahrsnacht, als uns S. vom Flugplatz nach Hause fährt. Die beiden Wächter und unser Gärtner heissen uns mit Rosen willkommen! Trotz der vielen Wochen Abwesenheit scheint sich auch Caramell, unsere vierbeinige Hausgenossin, gut an uns zu erinnern. Im Haus erwarten uns 2 weitere Rosenbouquets. Damit heissen uns Barbara und unsere Hausperle willkommen. Während wir unsere sieben und noch mehr Sachen ins Haus tragen und erste Koffern, Taschen und Rucksäcke öffnen, verweilen wir in Gedanken noch etwas dort, wo wir am frühen Morgen des Vortags abreisten und uns während vieler Wochen ebenfalls zu Hause fühlten, im Bernbiet, im Tessin, an der Aare, im Verzascatal und auf der Schynige Platte, in Hilterfingen, mit Blick auf Niesen und Stockhorn und gleich neben Wahlen’s, und so oft in der Milchbar, im Fédéral oder auf der Grossen Schanze.

Früher fuhren EntwicklungshelferInnen jeweils in „Heimaturlaub“, oft erst nach zwei Jahren „Einsatz“, Urlaub in der Heimat, Urlaub von einem harten Leben oft abseits von den Annehmlichkeiten des modernen Lebens, zur Erholung von einem Leben „in der Fremde“ und um den Kontakt mit den Daheimgebliebenen aufzufrischen. In der Zwischenzeit leben wir Leute im Entwicklungs-Business meist in grossen Städten, kaufen in internationalen Warenhäusern ein, geniessen einen oft direkten Fluganschluss nach Europa, leben mit Internetverbindungen rund um die Uhr und können fast täglich Skype- oder Telefonkontakt mit Verwandten und Freunden in der „Heimat“ haben.

Zudem reisen wir oft mehrmals im Jahr hin und her. Heimat hat in der Zeit der globalen Welt neue Bedeutung erhalten. Heimat ist nicht mehr ortsgebunden, Freunde und Verwandte kommen auf Besuch und bringen das, was Heimat ausmacht, mit.

Und doch waren die vergangenen Ferienwochen in der Schweiz mit den vielen schönen Momenten in der Familie, mit Verwandten und Freunden ganz besonders, nicht alltäglich. Wir genossen einen Urlaub vom Alltag und im Alltag, einen Urlaub zuhause, in vertrauter Umgebung mit vertrauten Leuten. Die Schweiz ist nun auch für uns zum Ferien- und Besuchsort, zu einem Genussort geworden.

Der Genuss beginnt bereits am SBB-Schalter im Zürcher Flughafenbahnhof, wenn wir von Heidi absehen, die uns im kleinen Shuttlezug vom Midfield Gate zur Gepäcksausgabe mit einem kurzen Juchzer begrüsst. Die freundliche SBB-Frau stellt uns ein Monatsgeneralabonnement aus und im „Spettacolo“, gleich um die Ecke, lassen wir uns zu einem ersten feinen Cappuccino nieder. An der Bar treffen wir jedoch auch auf helvetische Normalität, auf einen älteren Herrn, der bereits nach wenigen Sekunden Warten die Servierfrau schnippisch frägt, ob er denn am nächsten Tag vorbei kommen solle oder doch noch heute einen Kaffee serviert kriege. Und zum Abschluss mokiert er sich noch über die gute Anstellung, mit fixen Ferien, welche die beiden anderssprachigen Frauen offensichtlich geniessen würden.
Zu dieser Begegnung passt das Wort des freundlichen Vermieters unserer Ferienwohnung in Hilterfingen. „Ja, die Schweiz ist schön, nur hat’s hier zu viele Schweizer“ bemerkt er, der selber viele Jahre ausserhalb der Landesgrenzen verbrachte.

Die Aussicht von der Wohnung hoch über dem Thunersee mit Blick auf die Blümlisalp, Niesen und Stockhorn ist kalenderwürdig und die geranienbehangenen Balkone vieler Chalets oder die reichen Alphütten mit wohlgenährten Kühen zeugen von Glückseligkeit.

Die Schweiz, eine Insel der Glückseligkeit im Ozean von Not und Widrigkeit?! geht uns als Frage und Antwort zugleich immer wieder durch den Kopf.

Wir verbringen „auswärts und zuhause“ unvergessliche Abende, oft bei schönstem Sommerwetter im Dählhölzli und im Schwellenmätteli direkt an und über der Aare, zum Apéro und 1.Augustfeiern mit den liebsten Nachbarn im Garten „unserer Wildstrasse 6“ oder Brätlen unter der Pergola an der Morgenstrasse, zum runden Geburtstagsfest bei den anderen Wildstrasse-Verbundenen auf dem Gryphenhübeli, hoch oben am Gurten am Chaumontweg oder gleich auf dem Gurten mit Blick über das weite Mittelland, zum Schwatz in der Aumatt, in Fribourg, in der Elfenau oder in der Schlossmatte in Hasle. In Brügg an der Aare, oberhalb Rüfenacht am Dentenberg, in Signau mit Blick auf die Schrattenfluh und auf der Terrasse an der Spychertenstrasse werden wir von Brüdern, Schwestern und ihren Familien aufs Feinste bewirtet. In Chlywabere treffen wir auf eine freudige Mutter und bei Kaffee und Kuchen fahren wir über den Thunersee „im Schosse der Familie“. Ganz besondere Momente verbringen wir auf der Küchenterrasse am Hopfenweg und auf dem doch so bekannten Balkon an der Wildstrasse. 

Ja, die Momente mit Miriam und Annalena sind absolute Höhepunkte: die Züglete durch enge Treppenhäuser in ein richtiges kleines Paradies, die Panoramawanderung von der Schynige Platte zum Faulhorn und auf die Buessalp und die Woche Tessin.

Es gibt auch bedrückende Momente in dieser Zeit. Zweimal begleiten wir Freunde und Bekannte auf ihrem letzten Weg, eine gleichaltrige Kollegin aus früheren Pfadizeiten, die nach langen Jahren ihrem schweren Krebsleiten erlag und unsere liebe Nachbarin aus der Sägematte, die ebenfalls eine lange Krankheitszeit erleiden musste.

In diesen Momenten spüre ich das Gefühl von Heimat am direktesten, zusammen mit Menschen, denen ich zum Teil während mehr als dreissig Jahren nicht begegnet bin, bei denen es mir gut geht und mit denen wir gute Zeiten verbrachten.

Die selbstgenügsame, auf sich bezogene Schweiz erleben wir diesmal nicht, mitten im Hochsommer und in Scharen von ausländischen BesucherInnen, wir sehen  keine Schäfchen- oder Minarettplakate. Wir lassen auch Zeitungen, Radio und Fernsehen auf der Seite liegen. Es ist das freundliche Gesicht der Schweiz, das uns auf Schritt und Tritt begegnet: auf der Schynige Platte kann Regula Wanderstöcke kostenlos „mieten“, die sie dann abends in Grindelwald auf dem Bahnhof einfach wieder abgibt. Den Schwumm vom Eichholz ins Marzili – etwas vom Schönsten, was es überhaupt zu geniessen gibt – tun wir inmitten von quitschvergnügten Aarebadenden.

Das Tessin bringt uns zum Träumen.

Wir schauen vom Balkon hoch über dem Lago Maggiore in Locarno Monti von den bündnerischen Bergen bis ins italienische Grenzgebiet hinter dem Monte Lema und staunen über die immer wieder neuen Bilder, welche Schiffe im Licht von Sonne und Wolken in den See zeichnen.

Auf einer Wanderung entlang der Verzasca – inklusive kurzem Eintauchen ins kalte Nass – lassen wir uns immer wieder von neuen Bildern all der in allen Farben im Sonnenlicht glänzenden Steine im klaren Bachwasser verzaubern. Am Abend in Lavertezzo bestaunen wir auf den noch sonnenwarmen Felsen die berühmte Kirche, wie sie sich in all den kleinen Pfützen spiegelt.

In Ponte Brolla schwimmen wir zum Abschluss in der Maggia, zwischen bizarren, rund geschliffenen Felsen und in tief blau-gold-grünen Becken, die sich der wilde – heute gezähmte – Fluss in der engen Schlucht aus dem Felsen schliff.

Der Sonntagnachmittag auf der Casino Terrasse und eine zweite Nacht im Hotel National bilden nun das Ende unserer ersten längeren Schweizzeit! Die Rückreise via Istanbul bringt uns vom Ende des Hochsommers zum hoffentlich baldigen Beginn der Trocken- und Sonnenzeit nach Addis Abeba zurück! Wo wir eben mit Rosen empfangen werden.

From → Allgemein

3 Kommentare
  1. Fränzi permalink

    Vielen herzlichen Dank, dass Ihr mich an Euren Erlebnissen, Beobachtungen, Erfahrungen, Bildern und Denkanstössen teilhaben lasst! Als 1. habe ich gleich Euren „Well come to Home“-Bericht gelesen und ungläubig Euer Bild der Alphütte mit den Kühen oberhalb der Bussalp bestaunt. Unglaublich aber wahr – diese Alphütte gehört meinem Mann (also auch ein klein wenig mir ;-). Ich kann nur sagen, dass ihr wahrlich ein gutes Auge für schöne Sujets habt… SMILE. Nein ehrlich: Eure Fotos sind wunderschön!!
    Ich bin sehr gespannt auf euren nächsten Eintrag. Häbets wiiterhin guet und liebi Grüess us em Bärner Oberland, Fränzi

  2. Marie permalink

    Na ist doch nett, genauso hab ich „welcome“ als Englischschüler am anfang auch geschrieben. Erscheint mir auch viel sinnvoller. Ansonsten, schöner Blog, und auch gute Fotos. Ich werde hier gleich mal ein Bischen weiterstöbern…
    LG Marie

  3. Tina Wieser-Froelicher permalink

    Wow, sooooo schöööön zu lesen, eure Eindrücke vom Sommer in der Schweiz und danke auch vielmals, dass wir einen kurzen Augenblick davon mit euch teilen durften. Auch schön diese träfen Beschreibungen der Heimat, wo ich doch gerade sehr an Heimweh zu leiden beginne, die Kinder vermisse, die ich irgendwie doch im Stich gelassen habe, die Berner Landschaft und meine FachkollegInnen…… Ihr wisst ja wie es ist im Provisorium, es dauert halt schon noch bis man am anderen Ende der Welt ankommen kann.
    Auf jeden Fall werde ich diesen Text noch einige Male durchlesen, danke dafür und euch wünsche ich einen guten und schnellen Wiedereinstieg ins Gastland.
    Liebe Grüsse aus dem südlichsten Afrika, Tina

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